Überlegungen von Thomas Hertog zum Einstein-Teleskop-Projekt
Am 10. April 2024 fand das Einstein-Teleskop-EMR-Forum in der renommierten Solvay-Bibliothek in Brüssel statt. Diese historische Stätte war einst der Ort, an dem Albert Einstein zusammen mit anderen großen Nobelpreisträger*innen wie Niels Bohr, Marie Curie und Max Planck bei den berühmten Solvay-Konferenzen zu historischen Durchbrüchen in der Physik kam. Die Veranstaltung endete mit einer inspirierenden Grundsatzrede von Thomas Hertog, einem engen Freund und Kollegen von Stephen Hawking und international anerkanntem Kosmologen und Professor an der KU Leuven.

Wir neigen dazu, ein Teleskop als ein Instrument zu betrachten, das Daten sammelt und nichts mehr. Als ein objektives Ding der Wissenschaft, das vollständig unpolitisch ist. Aber das Einstein-Teleskop ist nicht nur dazu da, Fakten zu ermitteln. Als das wichtigste Symbol des Galileo-Moments unserer Zeit ist es so viel mehr.
Beim Einstein-Teleskop geht es darum, durch die Beobachtung von Gravitationswellen einen neuen Dialog mit dem Universum zu konsolidieren. In meiner Grundsatzrede habe ich argumentiert, dass wir Gründe haben anzunehmen, dass dieser Dialog nicht nur unser Wissen über das Universum vorantreiben wird, sondern auch einige Grundlagen des wissenschaftlichen Verständnisses und damit unsere Weltanschauungen herausfordern wird. Meine wissenschaftliche Reise mit Stephen Hawking, zurück zum Urknall, war eine Suche nach UNSEREN Ursprüngen, nicht nur den Ursprüngen des Universums.
Was einen kosmischen Dialog durch das Einstein-Teleskop besonders macht, ist, dass alle gewissermaßen an den Entdeckungen teilhaben könnten. Ähnlich wie heute beim James-Webb-Weltraumteleskop wird uns das Belauschen der Vibrationen des Weltraums mit dem Einstein-Teleskop als unserem gemeinsamen Ohr an unser geteiltes menschliches Schicksal erinnern. Es wird uns inspirieren, unsere kollektive Weisheit über das Universum neu zu überdenken. In diesem Sinne kann das Einstein-Teleskop wie der Polarstern sein, der uns leitet, ein tieferes Verständnis unserer gemeinsamen Menschlichkeit zu suchen, als Hüter des Planeten Erde, in diesem seltsam biophilen Universum.
„Im größeren Zusamenhang wird das Einstein-Teleskop uns helfen, unseren Planeten und das Universum wirklich als unser Zuhause zu sehen“
Thomas Hertog

Tatsächlich haben bedeutende Denker wie Hawking und Hannah Arendt schon lange argumentiert, dass ein gründliches Verständnis unserer tiefsten Ursprünge – und die Einheit der Natur, die ein solches Verständnis bewirken kann – entscheidend sein wird, um die Menschheit sicher und weise in die Zukunft zu navigieren. Warum? Weil man fühlt, dass langfristig nur Zivilisationen, die ein solches tiefes Verständnis erlangen, einen Weg finden werden, sich zu einer Weltanschauung zu bewegen, die die Zukunft wirklich wertschätzt und es vermeidet, die vielen Mächte der Wissenschaft und Technologie gegeneinander auszuspielen.
Auf diese Weise ist das Einstein-Teleskop-Projekt fast ein Akt des Widerstands. In einer Welt, die unter Fragmentierung, Kurzzeitdenken und einem zunehmenden Misstrauen gegen alles Fremde leidet, sind die echten Partnerschaften zwischen Akteuren aus weit unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen und die enge internationale Zusammenarbeit, die zur Realisierung des Einstein-Teleskops erforderlich sein wird, ein Gegenmittel. Vielleicht ist das der tiefere Sinn des Einstein-Teleskop-Projekts. Als Teleskop geht es darum, tiefere Wahrheiten über schwarze Löcher zu ergründen. Im größeren Zusammenhang wird das Einstein-Teleskop uns helfen, unseren Planeten und das Universum wirklich als unser Zuhause zu sehen. Was könnten wir uns mehr wünschen?
Thomas Hertog
KU Leuven